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Turmbläser
und Stadtkapelle |
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Turmbläser am Sonntagmorgen
von
der Herrenbenberger Stiftskirche |
Ohne Turmblasen keine Stadtkapelle, zumindest keine mit
über 500-jähriger Tradition. Am Anfang, urkundlich
bis zum Jahre 1457 zurück belegt, standen jene Spielmänner
und Turmbläser, welchen Kardinal Julianus seinerzeit
bewilligte eine eigene Bruderschaft zu gründen und
damit weg vom "fahrenden Volk" in die Ehrbarkeit
einer Zunftgenossenschaft aufzusteigen.
Vogt Heß zitierte in seiner Herrenberger Chronik:
„Anno 1457 verwilligt Cardinal Julianus den Pfeiffem,
Trompetern, Lautenschlägem und Spielleuten eine besondere
Bruderschaft zu halten, dass Sie zu ziemlicher Zeit nach
Ordnung der Heiligen Kirchen mögen das Heilige Sacrament
empfehlen."
Die Bläser waren als Tonkünstler im Dienste
der Stadt fest angestellt und besoldet. Sie wurden von
gewissen Pflichten und Diensten der übrigen Bürger
entbunden, sie waren von Fron- und Wachdienst befreit.
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Der heutige Zinkenist Günther
Haar am Turmaufgang in der Kirche |
Der Artikel vom Zinkenisten im Herrenberger Statutenbuch
von 1777 zeigt wie gleichermaßen die Stadtmusik
eine Einrichtung der bürgerlichen und kirchlichen
Gemeinde war. Noch vor dem sonn- und festtäglichen
Musizieren dieses Musikkörpers, kam die Abteilung
Turmmusik mit ca. 900 Turmchorälen jährlich
zum Gehör. Der Zinkenist und mindestens 2-3 Gesellen
hatten jährlich nahezu tausend vorgeschriebene und
festgelegte Auftritte.
Aus dem Zinkenisten wurde
im 19. Jahrhundert der Stadtmusikus. Seine Aufsichtsbehörde
war nun der vereinigte Stiftungs- und Gemeinderat. Nachdem
anfangs das Turmblasen vom Schlossberg aus erfolgte,
war es zwischenzeitlich auf den Kirchturm verlegt worden.
Auch als später ein Musikverein gegründet
wurde, übernahm dieser die Verpflichtung das Turm-
und Trauerblasen weiterhin auszuüben.
Nun sollen einige Jahrhunderte übersprungen werden,
damit wir zur Jetztzeit kommen. Heute heißt der
„Zinkenist“ Günther Haar, er ist seit
1969 Turmbläser. Seine ständigen "Gesellen"
sind seine Tochter Sandra, Rainer Eitelbuß, Andreas
Fischer, Frieder Glaser, Jürgen Schilling, Hansjörg
Schill und Christian Däuble. Zu dieser Stammbesetzung
kommen von Fall zu Fall (Urlaub, Krankheit usw.) weitere
Aktive der Stadtkapelle. Die Besetzung ist so zu organisieren,
dass 4stimmig gespielt werden kann.
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Die Turmspieler haben einen tollen
Blick über Herrnenberg und über das Gäu |
Die zu blasenden Choräle werden zwischen Pfarramt
und "Zinkenisten" abgestimmt. Bis zur Mitte
des 19. Jahrhunderts wurde sonntags 3 mal vom Turm geblasen.
Um 8 Uhr, bei Gottesdienstende gegen 11 Uhr (hier wurde
stets der Schlusschoral des Gottesdienstes gewählt)
und abends um 18 Uhr. Heute werden die ca. 150 Stufen
des Kirchturms nur noch einmal um 8.30 Uhr erklommen.
Geblasen wird in 3 Richtungen, Hasenplatz, Marktplatz
und Lämmleshalde. Es werden jeweils 2 Choralverse
gespielt. |
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Es werden an den 3 Turmseiten zur
Stadt jeweils 2 Choralverse gespielt |
Das Turmblasen ist übrigens bis zum heutigen Tage
vertraglich zwischen Stadt und Verein festgelegt. Der
Verein verpflichtet sich mit mindestens 4 Bläsern
Dienst zu tun, die Stadt leistet hierfür eine unbedeutende
Entschädigung.
Die ausschließlich handgeschriebenen Noten entstammen
der Feder des Karl Wörner sen. zu Beginn des 19.
Jahrhunderts. Sein Sohn Karl, der vielen noch unter dem
Namen "Schlosserwörner" bekannt, blies
noch mit über 80 Jahren, Ergänzungen im Notenmaterial
wurden von Karl Fink vorgenommen. Er schrieb die Noten
auch für 4stimmige Besetzung.
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Die 2 jüngsten Turmspieler:
Markus Fischer (Trompete) und Christian Däuble
(Tuba)
Der Turmaufstieg mit der Tuba ist ganz schön
anstrengend. |
Thomas Wunder, hat sich im Notenmaterial ebenfalls schon
verewigt, er ergänzte die Noten auf 6 Stimmen (Bariton
und Posaune). Dass die Noten sehr strapaziert werden ist
zwangsläufig, nachdem bei Wind und Wetter gespielt
wird. Von den Bläsern wird sehr viel Idealismus abverlangt,
denn der Dienst am Sonntag früh muss angetreten werden.
Über die Teilnahme wird genauestens Buch geführt.
Ehrgeizig sind sie alle, die Turmbläser, jeder will
am wenigster Kreuze (Fehlzeiten) aufweisen. Eine besondere
Freude für die Bläser sind die immer wieder
eingehenden Dankschreiben bzw. anerkennenden Worte aus
allen, Kreisen der Bevölkerung. Nachdem das Turmblasen
logischerweise im Stadtkern am besten zu hören ist,
rekrutiert sich der Freundeskreis hauptsachlich aus diesem
Wohngebiet. Kürzlich zum Beispiel passierte folgendes:
Als bei einer 80jährigen wegen eines Geburtstagsständchen
nachgefragt wurde, sagte diese Frau, dass sie schon seit
vielen Jahrzehnten darauf warte und beim ersten Ton der
Bläser das Fenster öffne und dass sie bewusst
noch kein Turmblasen versäumt habe. Aber nun werde
sie doch alt, denn am letzten Sonntag sei ihr dieser Genuss
entgangen. Sie habe absolut kein Blasen gehört. Der
Frau konnte geholfen werden, sie hatte nicht schlecht
gehört; denn an diesem Sonntag gab es infolge Auslandsaufenthalts
der Stadtkapelle kein Turmblasen. |
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Günther Haar bei der Buchführung
im Glockenturm.
Hier ist auch das interessante Glockenmuseum der
Stiftskirche. |
Die Gruppe der Turmbläser ist eine eingeschworene
Gemeinschaft. Man trifft sich außer Dienst z.B.
bei einer internen Weihnachtsfeier und seit 1978 auch
alle 14 Tage zum Kegeln und man macht auch einen Kegelausflug
usw. Der ganzen Bevölkerung und den Gästen der
Stadt Herrenberg wünschen die Turmbläser weiterhin
viel Freude bei Ihrem Spiel, vor allem wenn traditionsgemäß
am Heiligen Abend um 21 Uhr "Stille Nacht, Heilige
Nacht", am ersten Weihnachtsfeiertag um 8.30 Uhr
"O du fröhliche", am 26. Dezember "Es
ist ein Ros entsprungen", an Silvester nach dem Leuten
um Mitternacht "Schon wiederum ein Jahr entschwunden
(Wie groß ist des allmächtigen Güte)"
und am 1. Januar um 8:30 Uhr der Choral "Mit dem
Herrn fang alles an" vom Turm unserer ehrwürdigen
Stiftskirche erklingt. Vielleicht gehören dann auch
Sie zu den vielen Mitbürgern, die sich in diesen
Tagen auf dem Marktplatz versammeln, um andächtig
diesen Weisen zu lauschen.
[Text:
Paul Schmidt, 2004]
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Weitere Artikel über die
Turmbläser bei "Presse":
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12.12.2011 |
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20.06.2009 |
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31.12.2003 |
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